Hilfe, mein Hund bellt andere Hunde an!

Wenn ein Welpe ins Haus kommt, ist die Freude gross. Der Kleine ist zuckersüss und wächst einem schnell ans Herz. Man gibt sich die grösste Mühe und kommt relativ rasch mit Themen wie Beisshemmung und Stubenreinheit klar. Nach einigen Monaten kommt der Kleine so langsam in die Pubertät, die Hormone fangen an zu tanzen und der Welpe entwickelt sich zum Junghund. Und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, fängt das kleine Fellknäuel an, andere Hunde anzukläffen. Mensch wundert sich und versteht die Welt nicht mehr. Es gibt doch gar keinen Grund, oder? Bisher hat er sich doch so gut mit allen Hunden verstanden und so schön mit den Hunden gespielt, die er auf dem täglichen Spaziergang getroffen hat. Was hat sich geändert? Bei den meisten Hundebesitzern geht der Instinkt dahin, den Hund zur Ordnung zu rufen. „Nein!“, „Aus!“, „Lass das!“ - vielleicht verbunden mit einem kleinen Leinenruck -  sind oftmals eine beliebte Methode, um den kleinen Rüpel zur Raison zu bringen.

 

Aber es funktioniert nicht.  Warum?

 

Hunde bellen aus den unterschiedlichsten Gründen. Oftmals bellen sie andere Hunde an, weil sie unsicher sind und/oder falsch bestärkt wurden. Dazu kommt, dass sie meist schon einige, für uns oft unbemerkt abgelaufene, negative Erfahrungen (z.B. durch Begegnungen an der Leine) gemacht haben. Sie agieren proaktiv und bellen vorsichtshalber.

 

Das Schlimmste, was man nun tun kann, ist den Hund zu schimpfen oder zu massregeln. Besonders junge Hunde, die noch nicht viel Lebenserfahrung haben, nehmen jedwede Reaktion ihres Menschen zunächst einmal als Bestätigung ihres Verhaltens wahr. Grundsätzlich gilt: wenn wir einem Verhalten Aufmerksamkeit schenken, so verstärken und bestätigen wir es!

Hunde verstehen nicht von Geburt an, was "Nein" und "Aus" bedeutet. Auch diese Kommandos zu wiederholen oder dabei lauter zu werden trägt nicht zum Verständnis bei!

 

Was also tun? Bei der Erziehung eines jungen Hundes gilt zunächst einmal folgender Grundsatz: "Wir bringen dem Hund erwünschtes Verhalten bei um unerwünschtes Verhalten zu vermeiden oder abzustellen".

Bellt ein Hund andere Hunde schon aus der Ferne an, dann bringen wir ihm bei, dass es sich für ihn lohnt, wenn er ruhig ist und sich auf uns konzentriert. Gleichzeitig agieren wir vorausschauend, nehmen unsere Beschützerfunktion wahr (wir regeln Situationen für den Hund, er muss das nicht selbst tun!) und schaffen eine Situation, die unser Hund bewältigen kann. Ist sie zu schwierig oder ist er überfordert, wird er bellen. Ist das der Fall, so müssen wir einen Schritt zurück gehen.

 

Wie genau gehen wir nun aber vor? Wir nutzen eine Kombination aus verschiedenen Massnahmen:

 

Grundsätzlich vermeiden wir frontale Begegnungen mit anderen Hunden. Notfalls wechseln wir die Richtung oder die Strassenseite. Wir lernen aus dem Verhalten unseres Hundes, wie viel Distanz er braucht, damit er nicht reagieren muss (diese Distanz wird mit der Zeit kürzer und irgendwann schafft er es, problemlos an einem anderen Hund vorbeizugehen - natürlich immer mit seinem Mensch zwischen ihm und dem anderen Hund!).

 

Ganz wichtig sind auch gewisse Details und oftmals sind es die Kleinigkeiten, die einem zum Verhängnis werden: Mein Theo ist ein eher unsicherer Hund. Als er klein war, kam diese Unsicherheit noch viel stärker zum Tragen. Ist er beim Spaziergang leicht vor mit gelaufen und kamen uns andere Menschen mit oder ohne Hund entgegen, dann hat er sofort gebellt. Das Problem war, dass er vor mir lief und als erster mit der Situation konfrontiert wurde. Wichtig ist also, den Hund wirklich gut zu beobachten, die Situation gut einzuschätzen und den Hund proaktiv und rechtzeitig an die Seite bzw. leicht hinter sich zu nehmen. Das bietet ihm Schutz und gibt Sicherheit.

 

Wir verwenden eine Führleine und keine Flexileine, denn wir wollen unseren Hund "führen" (nicht ziehen, an der Leine rucken oder ähnliches) und dazu brauchen wir den direkten Kontakt zu ihm. Und zwar einen engeren Kontakt ohne den ständigen leichten Zug, den eine Flexileine bietet.

 

Wir bewaffnen uns mit Lieblingsleckerlis. Diese Leckerlis (die Auswahl richtet sich hier ausschliesslich nach den Vorlieben des Hundes, sonst funktioniert es nicht. Man kann z. B. Leberwurst, kleine Käsewürfen oder kleine Fleischwurstwürfel nehmen) gibt es AUSSCHLIESSLICH in diesen Übungssituationen!

 

Wir übernehmen Verantwortung und agieren vorausschauend. Wenn wir aufpassen, sehen wir andere Hunde immer zuerst, bevor unser Hund sie sieht, und können somit zeitgerecht entsprechend reagieren (und ja, es gibt immer Situationen, in denen ein Hund um die Ecke kommt und wir sind chancenlos. Das ist dann eben so und wir machen unbeirrt weiter).

 

Ist der Weg zu eng, wenn ein anderer Hund kommt, dann kann man auch umdrehen!

Einander fremde Hunde haben absolut nichts, das sie miteinander „klären“ müssten und der Spruch „Die regeln das unter sich“ an dieser Stelle einfach Blödsinn. Auch in der Tierwelt gibt es Rüpel und Halbstarke, die andere einfach gerne vermöbeln. Es ist unsere Verantwortung als Hundebesitzer, unseren Hund zu schützen. Hunde kläffen in der Regel nicht, weil sie uns beschützen wollen – aber wir sollten uns schützend vor sie stellen. Vor allem, wenn sie an der Leine sind und nicht weg können.

 

Aber zurück zum Thema: Kommt uns ein Hund entgegen, dann laufen wir einen Bogen, sorgen für genügend Abstand und nehmen unseren Hund ans Futter. Dies tun wir so lange, bis der Reiz (= Hund) weg ist. Wenn unser Hund doch bellt, waren wir zu nah dran und wir müssen beim nächsten Mal für mehr Abstand sorgen. Ausserdem reagieren wir NICHT, wenn unser Hund bellt. Wir sagen nichts, wir massregeln ihn nicht, wir strafen nicht. Wir bestärken nicht. Die Übung ist durch und es bleibt nur, die Situation beim nächsten Mal besser zu bewältigen.

 

Zusammengefasst heisst das: Hund kommt - wir gehen zur Seite (machen Distanz), nehmen unseren Hund ans Futter bis der Reiz vorbei ist und dann geht das Leben ganz normal weiter. Bellt er nicht, loben wir. Bellt er, ärgern wir uns maximal über uns selber. Ganz wichtig ist aber, den Hund nicht weiter mit Futter zu bestärken, wenn er angefangen hat zu bellen. An dieser Stelle hilft nur Aussitzen.

 

Was lernt unser Hund bei dieser Übung?

Er beginnt mit der Zeit, andere Hunde mit etwas Positivem (Futter erzeugt ein gutes Gefühl) zu assoziieren. Ausserdem lernt er, dass nichts passiert, wir ihn schützen und er den "Druck" aushalten kann. So konditionieren wir Verhalten auf positive Weise! Unser Hund wird nicht nur sein Verhalten ändern, sondern er bekommt gezeigt, wie er sich verhalten soll, damit es sich für ihn lohnt. Mit der Zeit braucht Hund immer weniger Distanz und weniger Futter. Das kann Wochen, manchmal auch Monate lang dauern, aber der Aufwand lohnt sich. Als Hundebesitzer verzweifelt man oft, weil eine Übung nicht klappt oder ein Verhalten sich nicht rasch verändert. Aber wenn man bedenkt, wie lange man seinen Hund im Normalfall an seiner Seite hat, dann relativiert sich der zeitliche Aufwand sehr schnell. Wenn man konsequent übt und mit positiver Bestärkung arbeitet, bekommt man einen entspannten, charakterlich gefestigten und sicheren Gefährten, der mit Freude lernt, seinem Menschen vertraut und sich an ihm orientiert. Der gerne gehorcht und kein Meideverhalten zeigt. Hunde, die mit Strafen erzogen werden, lernen maximal, was sie nicht tun dürfen – bekommen aber kein für sie lohnendes Alternativverhalten gezeigt und kommen somit in die völlig aussichtslose Situation, eventuell auf ihr Verhalten folgende Strafen vermeiden zu wollen. Das nennt man „Erlernte Hilflosigkeit“.

 

An dieser Stelle möchte ich nun noch auf die eingangs angesprochenen negativen Erfahrungen aus Hundebegegnungen zurückkommen. 

 

Eines der meiner Meinung nach grössten Probleme ist die landläufige Einstellung, der Hunde wolle „doch nur mal Hallo sagen“ und deshalb müsse man die Hunde an der Leine zueinander lassen, damit sie sich begrüssen können. Zum einen sei gesagt, dass wir Menschen auch nicht zu jedem Fremden, der uns auf der Strasse begegnet, hingehen und ihm einen Kuss auf die Wange drücken (dies nur zur Veranschaulichung) - bei Hunden ist das ähnlich. Wir meinen, dass sie zu den anderen Hund hin wollen, weil sie mit dem Schwanz wedeln, bellen, aufgeregt sind (dazu kommen wir später) - aber das ist nicht (immer) so. Sozialisierung bedeutet nicht zwingend und immer Körperkontakt. Sozialisierung findet statt, wenn Hund sich in Gesellschaft anderer Hunde und Menschen befindet. Begegnungen an der Leine sind tunlichst zu vermeiden. Hunde, die an der Leine sind, können nicht weg. Sie MÜSSEN sich der Situation stellen. Und der Mensch, der sie eigentlich beschützen soll, tut das nicht, sondern liefert sie dieser Situation aus. Das kann gut gehen und sie treffen auf einen Hund, den sie wirklich toll finden. Aber das ist eher die Ausnahme. Zudem sei gesagt, dass freilaufende Hunde, wenn sie aufeinander zu gehen, NIEMALS in gerader Linie aufeinander zulaufen (beobachtet das mal), sondern immer einen kleinen Bogen machen und den Blick abwenden. Sie starren den anderen Hund  auch nicht an denn Anstarren ist hündisch gesehen ein Zeichen von Aggression. Ohne Leine können Hunde diese hündische Etikette befolgen, an der Leine ist das nicht möglich. Aber aus dem Bestreben, unseren Hunden etwas Gutes zu tun, sie Sozialkontakte haben zu lassen und zu sozialisieren, zwingen wir sie zu Kontakten an der Leine. 

 

Nun fragen sich viele: Warum wedeln die Hunde dann mit dem Schwanz, sind ganz aufgeregt, hüpfen wie Gummibälle oder bellen, wenn sie einen anderen Hund sehen? Sie wollen doch hin?

Als Hundebesitzer müssen wir uns auch mit der Sprache der Hunde befassen und etwas über ihre Art der Kommunikation lernen. Schwanzwedeln bedeutet zunächst einmal lediglich, dass der Hund erregt oder aufgeregt ist. Man könnte ein Buch darüber füllen, warum, wann und wie ein Hund mit dem Schwanz wedelt und was es bedeutet. Das führt hier aber zu weit. Schwanzwedeln KANN Ausdruck von Freude sein, muss aber nicht.

 

Die meisten Hunde hatten schon Begegnungen an der Leine. Diese Begegnungen haben sie geformt und geprägt. Wie gesagt bedeutet es für den Hund meist Stress, eine Begegnung an der Leine auszuhalten. Jeder Hund hat eine andere (angeborene) Art und Weise, mit der er auf Stress reagiert. Das ist bei den Menschen ähnlich: manche reagieren mit Kopfschmerzen, andere mit Magengeschwüren. Bei Hunden gibt es grundsätzlich vier Verhaltensweisen, die sie in einer Krisensituation (und glaubt mir, ungewollte Begegnungen aus Sicht des Hundes SIND Krisen!) zeigen können: Freeze (Erstarren), Fight (Angriff), Flight (Flucht) und Fiddle about (Umherhüpfen – das sieht man oftmals bei Retrievern. Hier wird diese Reaktion oftmals mit Spielverhalten und Freude verwechselt). Gerade Letzteres ist eine Übersprungshandlung, die viele Hunde in Stresssituationen zeigen und die es dem Menschen erschwert, die Gefühlslage des Hundes richtig zu bewerten. Flüchten können Hunde an der Leine nicht, erstarren schon, angreifen bedingt - das habt ihr alles vielleicht schon beobachtet.

Ein Hund, der noch nie eine direkte Begegnung an der Leine hatte, wird mit höchster Wahrscheinlichkeit auch nicht auf die Idee kommen, einen anderen fremden Hund anzubellen oder bereits aus der Ferne aggressiv zu reagieren. Bei Welpen sieht die Welt etwas anders aus. Sie sind neugierig und müssen viel lernen. Gerade ihnen sollten man diese Begegnungen an der Leine ersparen – für eine negative Prägung reicht oft eine einzige schlechte Erfahrung. Vermeidet man das, erspart man dem Hund und sich selbst potenziell viel Kummer.

 

Abschliessend sei gesagt, dass kein (junger) Hund die Weltherrschaft an sich reissen oder euch „dominieren“ will (diesem Unwort widme ich ein anderes Mal einen Beitrag). Ihr müsst herausfinden, was euer Hund braucht. Jeder Hund ist anders. Jeder Hund hat eine andere Individualdistanz. Jeder hat einen anderen Charakter. Manche lernen schneller, manche langsamer. Manche sind von Natur aus eher tiefenentspannt, andere sind unsicher. Gerade die unsicheren Hunde laufen oftmals Gefahr, als „dominant“, besonders aufmüpfig und aggressiv angesehen zu werden. Deshalb beobachtet eure Hunde, lernt über sie, lernt mit ihnen und besucht am besten eine wirklich gute Hundeschule, die euch durch alle schwierigen Situationen hindurch begleitet und mit positiver Bestärkung arbeitet. Mit Liebe, Konsequenz und Geduld kann man so viel mehr erreichen als mit Massregelungen und (gut getarnter) Gewalt. In diesem Sinne: geniesst eure Hunde!